Herr Wischmann, im März findet die ISH 2023 statt – endlich wieder in Präsenz. Worauf freuen Sie sich am meisten?
Jens J. Wischmann: Auf volle Hallen. Menschen in den Gängen und auf den Ständen.
Wie sehr dämpfen die Wirtschaftsprognosen die Erwartungen an die Messe?
Zunächst mal bin ich glücklich, dass unser Gespräch sich nicht direkt um das Thema Corona dreht wie bei den Vorbereitungen auf die ISH digital 2021! Das Entscheidende ist jetzt, dass die Branche mit der ISH wieder das notwendige Forum bekommt, um die wirklich wichtigen Themen voranzutreiben und auch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in Bezug auf Nachhaltigkeit gerecht zu werden. Die Erwartungen waren und sind entsprechend hoch. Nun hat sich zwar das Pandemieproblem stark relativiert, dafür haben sich aber auch die weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen verändert – bekanntermaßen nicht zum Guten. Auch wenn die Notwendigkeit zur Transformation der Messebranche allgemein und auch der ISH angesichts der teils disruptiven Folgen der Pandemie noch dringlicher erscheint, muss unser Etappenziel daher lauten: eine erfolgreiche ISH 2023. Wir sollten die Messe als Forum und als Schwunggeber nutzen, um uns über Ziele zu verständigen und Veränderungen einzuleiten. Die ISH 2023 hat in meinen Augen eine doppelte Zielsetzung: Kontinuität und Erneuerung. Laut AUMA starten die Messeveranstalter das Jahr 2023 mit Zuversicht.
Wie sieht das für die Leitmesse Sanitär, Heizung, Klima aus, und was können die Besucher und Besucherinnen von der ISH 2023 erwarten?
Die Branche braucht Anlässe wie die ISH, um im Dialog aller Marktpartner untereinander und mit Vertretern unterschiedlichster Disziplinen neue Impulse zu generieren. Die Aussteller nehmen die ISH 2023 vor allem zum Anlass, ihr Business zu intensivieren und den Dialog mit ihren Kunden auszubauen. Wir werden eine famose Festhalle haben: Mit Hansgrohe, Axor, Villeroy & Boch und Sanipa wird die Festhalle ein Hotspot in der Erlebniswelt Bad sein. Villeroy & Boch feiert hier sein 275-jähriges Bestehen und wird die ISH 2023 nutzen, das so richtig zu feiern. Hansgrohe wird mit einem innovativen Auftritt überraschen und das Thema Nachhaltigkeit in den Fokus stellen. Auch in Halle 3 werden die Besucher, ungeachtet einiger Absagen, einen ganzen Tag verbringen können, ohne sich zu langweilen. Auf zwei Hallenebenen präsentiert sich hier das Who-is-Who der Sanitärbranche: burgbad, Kaldewei, Kermi, Kludi, Duravit, Hoesch Design, Bette, VitraBad, Laufen, Roca und zahlreiche italienische Unternehmen sind hier zu finden. Als VDS werden wir einmalig von den Umplanungen profitieren – mit insgesamt 1.500 Quadratmetern in Halle 3.1 sind wir verantwortlich für ein wirklich interessantes Vortragsprogramm im Hotspot Water sowie für die beliebte und inspirierende Trendausstellung Pop up my Bathroom. In der Halle 4 ist das Thema Water auf drei Hallenebenen zu finden – auch hier wieder mit zahlreichen Marktführern wie Geberit, Mepa, Dallmer oder KWC. Also ja, wir schauen mit Zuversicht auf die ISH 2023.
In welcher wirtschaftlichen Lage befindet sich die Branche? Wie wichtig ist die ISH 2023 für das Business mit dem Badezimmer?
Wir sehen derzeit eine Schieflage bei den Segmenten der SHK-Branche. Das private Badezimmer scheint in der zweiten Reihe zu stehen, sowohl bei den Investitionen der Bauleute als auch bei der Bearbeitung des Marktes durch das Handwerk. Der Verkauf von Wärmepumpen ist angesichts der neuen Energiepolitik nun mal einfacher zu verargumentieren und im Verkaufsprozess auch gut zu skalieren. Sie können aber davon ausgehen, dass alle Marktpartner daran arbeiten, das Thema Badezimmer im Jahr 2023 verstärkt wieder in den Fokus zu bringen. Die ISH 2023 ist nicht nur auf Produktebene, sondern auch auf Kommunikationsebene der perfekte Anlass, hierzu den Turnaround einzuleiten. Wir sehen die ISH 2023 als einen Booster für das Business mit dem Badezimmer.
Wie gedenken Sie die Bedarfsweckung für das Privatbad zu intensivieren?
Die Sanitärwirtschaft ist in der glücklichen Lage, über einen prall gefüllten Korb an Trendthemen zu verfügen, von Wachstumsmärkten partizipieren und von einem großen Nachholbedarf bei der Sanierung von privaten Bädern profitieren zu können. Die Themen und Geschichten für eine erfolgreiche Ansprache sind da, und wir werden diese Geschichten im Jahr 2023 erzählen. Beim Thema Nachhaltigkeit steht sicherlich zunächst die Motivation des Wasser- und Energiesparens im Vordergrund. Aber das Thema ist viel komplexer! Aspekte wie die nachhaltige Badplanung, Cradle-to-Cradle und eine nachhaltige Herstellung und Logistik der Badezimmer-Produkte werden im Dialog mit den Bauleuten und auch im dreistufigen Vertriebsweg ein bestimmendes Thema sein. So wird zum Beispiel der Tag des Bades 2023 im September auch ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit stehen.
Beim Thema Lifestyle und Wohnlichkeit ist nicht mehr zu übersehen, dass das Badezimmer in der Einrichtungsbranche heute eine größere Rolle einnimmt. Mit der zunehmenden Lifestyle-Orientierung erhöhen sich auch die Ansprüche an die Badplanung, was Badplaner und Handwerker vor Herausforderungen stellt. Umgekehrt ergeben sich dadurch Chancen, sich als Gestaltungsprofi zu positionieren. Der Wunsch nach höherer Aufenthaltsqualität im Bad ist für viele Menschen der entscheidende Anlass, ihr Bad zu sanieren. Dies werden wir im Rahmen unserer großen Forsa-Umfrage im Laufe des Jahres genauer beschreiben können.
Von welchen Wachstumsmärkten wird auch das private Badezimmer profitieren?
Eine Studie des Instituts für Wohnen und Umwelt (IWU) spricht davon, dass uns in Deutschland bis 2035 rund zwei Millionen altersgerechte Wohnungen fehlen werden. Das barrierefreie Badezimmer ist ein Schlüsselfaktor für eine lange Selbstständigkeit der Menschen und damit ein gesellschaftspolitischer Faktor. Wir können auf die demografische Herausforderung reagieren, indem wir Altersheime bauen, oder indem wir unsere privaten Bäder modernisieren, wobei die zweite Option schon aus volkswirtschaftlichen Gründen klar zu bevorzugen ist. Die Bundesregierung sollte entsprechend handeln und die Förderung von barrierefreien Bädern verstärken. Im Übrigen liegt es auch in der gesellschaftlichen Verantwortung unserer Branche, dem enormen Bedarf an möglichst barrierefrei ausgestatteten Bädern entgegenzukommen.
Ein weiterer Wachstumsmarkt ist der Bereich Smart Living. Der weltweite Umsatz durch Smart Living wird im Jahr 2025 voraussichtlich 180 Mrd. Euro betragen. Als so genannte „Hot Spots“ dieser Entwicklung gelten Europa, die USA, China, Japan und Südkorea. Allein in Deutschland wird für 2025 ein Marktvolumen von über 9,6 Mrd. Euro prognostiziert: eine Steigerung von 50% gegenüber 2021. Und dabei ist das Badezimmer neben der Küche der Raum mit dem größten Umsetzungspotenzial. Mit Dusch-WC und smarten Beleuchtungskonzepten haben wir erste Anwendungen im Markt etabliert.
Und dann ist da noch eine große Anzahl von Badezimmern, die ein Update brauchen könnten. Bauleute und Investoren profitieren bei der Modernisierung eines 15 bis 20 Jahre alten Bades nicht nur von einer Wertsteigerung der Immobilie, sondern signifikant auch von einer Reduzierung der Wasser- und Energiekosten. Über 10 Mio. Bäder könnten von einer Modernisierung überdurchschnittlich profitieren und durch moderne Produkte einen wahren Sprung in Sachen Lifestyle und Komfort machen – jedes vierte Badezimmer in Deutschland muss saniert werden. Dabei können auch schon Teilsanierungen sinnvoll sein. Hier ist die Branche gefordert, skalierbare Lösungen für den Sanierungsmarkt zu entwickeln.
Wie wichtig ist den Menschen ein Mehr an Komfort im Badezimmer, wenn Inflation und Bilder von Krieg und Naturkatastrophen ihnen die Kauflaune verderben?
So kann man natürlich denken. Die Erfahrung gerade der letzten Jahre hat aber auch gezeigt, dass uns das Heim umso wichtiger wird, je bedrohlicher oder unüberschaubarer die Welt erscheint. Im Moment sehen Wirtschaftsprognosen die Inflation zwar als weiterlaufende, sich in ihrer Dynamik aber bereits abschwächende Entwicklung. Trends wie Demographie, Nachhaltigkeit und Urbanisierung sind aber langfristige Entwicklungen, die verbunden sind mit Investitionsnotwendigkeiten für barrierearme Badezimmer, Wasser und Energie sparende Technologien sowie für kompakte und komfortable Stadtbäder. Und auch für den Trend zum individuellen Badezimmer ist kein Ende abzusehen. Diese Trends werden noch lange als Treiber für die Branche fungieren. Das Badezimmer als Wohlfühlort für die Fitness von Körper und Geist sowie als Hilfestellung für ein selbstbestimmtes Leben hat eine wachsende Bedeutung für die Menschen und die Gesellschaft.
Weitere Informationen finden Sie unter www.sanitaerwirtschaft.de
Quelle: VDS e. V. Foto: Martin Synowzik